Besinnlich?
Ein Wort, dass ich in diesen Tagen häufig höre, ist: besinnlich. Da wünschen sich Menschen z. B. eine besinnliche Adventszeit. Oder ein besinnliches Weihnachtsfest. Am besten hat mir das Wort in einem Interview gefallen, das auf einem Weihnachtsmarkt geführt wurde. Auf die Frage, mit welcher Stimmung er inmitten der Krisen der Welt auf den Weihnachtsmarkt gehe, antwortete ein Mann: „Ich gehe in diesem Jahr wieder auf den Weihnachtsmarkt, um eine besinnliche Zeit zu erleben.“
Die Antwort hat mich schon etwas belustigt, denn wenn ich an Weihnachtsmärkte denke, dann fällt mir nicht unbedingt das Wort besinnlich ein. Da denke ich eher an Glühwein, Schmalzkuchen, Kunstgewerbe, Weihnachtslieder aus der Konserve und ein ziemliches Gedränge. Aber besinnlich? Nein! Besinnlich hat für mich eher etwas mit Ruhe, Nachdenklichkeit und In-Sich-Gehen zu tun, also eher genau das Gegenteil von Weihnachtsmärkten.
Obwohl ich von der Richtigkeit meiner Deutung überzeugt war, habe ich mich mal auf die Suche nach der ursprünglichen Bedeutung des Wortes gemacht, das sich – Sie haben es sicher schon geahnt – vom Begriff „Sinn“ herleitet. Und gleich gab es die erste Überraschung für mich, denn im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache musste ich in der Rubrik zur Wortgeschichte lesen: „Fähigkeit, Reize zu empfinden.“
1:0 für den Mann aus dem Interview dachte ich, denn auf dem Weihnachtsmarkt werden unsere fünf Sinne äußerst intensiv angesprochen: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten. Glücklicherweise ging es aber noch weiter. Als weitere Begriffe waren „Denken, Gedanken, Gesinnung, Gemüt, Verstand, geistiger Inhalt“ aufgeführt – 1:1 würde ich sagen.
„Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe!“ hören wir an diesem Sonntag Johannes den Täufer im Evangelium rufen. Das klingt gar nicht so anders als „Besinnt euch!“ in beiden Deutungen: Nehmt mit allen Sinnen wahr, was um euch herum geschieht, geht in euch und denkt darüber nach und ändert euch und euer Verhalten. Ich glaube dann ist das Himmelreich näher als gedacht.
Ich jedenfalls werde versuchen, mich in Zukunft nicht mehr lustig über jemanden zu machen, der die Dinge anders sieht als ich, denn vielleicht kann er mit seiner Sicht meine Sinn-Suche bereichern.
Ihnen wünsche ich eine besinnliche Adventszeit, ganz egal, ob sie eher in sich gehen und zur Ruhe kommen oder den Advent mit allen Sinnen genießen möchten – oder vielleicht sogar beides tun.
Marco Koch