31. August 2019
Wir müssen Zeichen setzen, die gesehen werden.
Pfarrer Dirk Jenssen sprach bei der Kundgebung des Friedensbündnisses Goslar anlässlich des Gedentktages "80 Jahre Kriegsausbruch".
An einem (Vor-)Tag, wie diesem 1. September 1939, braucht es ein Friedensbündnis. Ein Friedensbündnis aller, denen es nicht egal ist, wie Rüstungsgelder mehr und mehr erhöht werden. Schon bin ich angefragt worden, wie ich als Mann der Kirche hier mit so verschiedenen Gruppen stehen kann. Ich frage mich, wie könnte ich hier nicht stehen, wo es um das Zusammenleben von Völkern und Nationen geht und der Fokus von vielen allein auf der Erhöhung von Rüstungsgeldern gelegt ist. Dem Zeugnis der Christen aber auch aller anderen Religionen kommt angesichts der weltweiten Bewegungen eine besondere Bedeutung zu. Ich frage mich selbstkritisch als Christ: Sind die Religionen Kräfte des Friedens oder des Unfriedens? Dienen sie der Versöhnung oder der Verhärtung einzelner Perspektiven? Fördern sie Begegnung, Dialog und freundschaftliches Zusammenleben oder tragen sie zu Misstrauen und Abgrenzung bei?
Die Globalisierung bietet Chancen für Versöhnung, aber auch Risiken in die Richtung von Verhärtung. Die zentrale Frage ist, ob die globale Vernetzung dem Frieden dient. Dies ist nicht automatisch der Fall, vielmehr muss der Prozess am Ziel wachsenden Friedens ausgerichtet werden, damit die Chancen, die sich global bieten, zum Wohl der gesamten Menschheitsfamilie genutzt werden können. Bedrängend ist, dass die Welt immer häufiger den Verlockungen mehr oder weniger homogener/geschlossener Zivilisationsräume zu erliegen drohe. In großen Teilen der muslimisch geprägten Welt gewinnen Bewegungen an Zulauf, die die Einheit von Staat, Gesellschaft und Religion propagieren. In Indien gibt es starke Kräfte, die den Hinduismus als – die Anderen ausgrenzende – Staats- und Gesellschaftsdoktrin etablieren wollen. Und in Europa wird neuerdings wieder die Identität unseres Kontinents als rein 'christliches Abendland' beschworen – und zwar nicht um die christlichen Grundlagen und Wurzeln der Gesellschaften zu betonen, sondern um andere Religionen an den Rand zu drängen.
Wenn Religionen sich von den Kräften der Homogenisierung und Abgrenzung in den Dienst nehmen lassen, werden sie zu Staats- oder Kulturideologien. Sie beschädigen sich damit selbst – und mehr noch: sie ermöglichen sogar Ungerechtigkeit und Unfrieden. Dieser Gefahr dürfen gerade wir, als Christen, nicht erliegen, sondern müssen ihr widerstehen. Wir Christen stehen auf der Grundlage für Offenheit und Miteinander, für Dialog und Kooperation. Und noch einmal zurück zu uns hier. Wir müssen Zeichen setzen, die gesehen werden.
Frieden ist ein zerbrechliches Gut. Zwei Drittel meiner Gemeinden mussten wegen des zweiten Weltkrieges ihre geliebte Heimat verlassen. Deshalb müssen wir hier Widerstand leisten gegen Unterdrücker und Diktatoren. Unser Widerstand dabei ist natürlich gewaltfrei. „Gewaltfreiheit sei kein Mittel zur Lösung von Konflikten“ wird gesagt. Wir dagegen sagen, wir müssen es versuchen, ob wir da nun Martin Luther King, andere mutige Christen z. B. in der ehemaligen DDR nennen, Mahatma Gandhi oder andere. Krieg ist nur ein Mittel gescheiterter Politik.
Heute möchte ich daran erinnern, wie viele Waffenexporte von Deutschland aus in alle Welt gehen. Sind das nicht Militärausgaben, die beim 2% Ziel der Nato einfach nicht mit eingerechnet werden? Diese sichern eben nicht automatisch den Frieden, sondern geraten oft in die falschen Kanäle. Ich wünsche mir Exporte von Zusammenarbeit, Friedenserziehung und Deeskalationsteams von Deutschland aus. Der alte Slogan: „Nie wieder Krieg“ ist heute nötiger denn je. Heute und Morgen an diesem Tag braucht es Zeichen, die deutlich machen: Friedensbündnisse verbinden. Sie werden morgen mehr und mehr gebraucht.
Pfarrer Dirk Jenssen